Pier Giorgio Frassati
(1901-1925)

Es begann alles am Karsamstag 1901. Am 6. April kam Pier Giorgio in Turin zur Welt. Das Turin dieser Zeit war wie auch Europa im Allgemeinen im Umbruch: Sicherlich war die Stadt immer noch höchst vom christlichen Glauben geprägt - gerade einmal 13 Jahre vor Pier Giorgios Geburt starb der große Heilige Don Bosco, der so viele Jahrzehnte in der italienischen Stadt gewirkt hatte. Doch die moderne Welt hielt zunehmend Einzug und die Frage stellte sich für junge Menschen zunehmend: Warum überhaupt noch gläubig sein?

Pier Giorgios Familie

Nicht nur für junge Menschen stellte sich diese Frage: Pier Giorgio wurde selbst in eine Familie geboren, in der der Glaube mehr Formsache und Pflichtgebot war. Seine Mutter, Adelaide, war Malerin, sein Vater der Gründer der heute noch großen Tageszeitung La Stampa. Alfredo Frassati war auch politisch aktiv und wurde der jüngste Senator im italienischen Parlament. Doch weder für Mutter noch für Vater war Kirche ein Zentralpunkt ihres Lebens. Und auch nicht für seine Schwester Luciana, die ein Jahr später zur Welt kam.

Ein früher Glaube in Barmherzigkeit

Für Pier Giorgio jedoch war schon früh in seinem Leben klar, dass der Glaube nicht nur Zentralpunkt sein sollte, sondern Fenster war für die größere Freiheit Gottes. Schon in der Schule wollte er unbedingt in die Messe gehen, täglich die Eucharistie erhalten - trotz zuerst vehementer Proteste seiner Mutter - und trat einer Marianischen Bruderschaft bei. Wenn er am Familienanwesen in Pollone war, trug er immer wieder einen Blumenstrauß zur Gottesmutter in Oropa, selbst im Winter wenn der Weg zum Wallfahrtsort verschneit war. Immerhin, so sagte er, ist “Unsere Frau der Kirche von unschätzbarem Wert und wir verdanken ihr alles".

Den Wohlstand seiner Familie lehnte er nicht ab. Stattdessen wusste er ihn zu nutzen indem er den Armen von Turin half und ihnen Essen und Kleidung gab. Manchmal kaufte er einem Obdachlosen ein Busticket und musste selbst zu Fuß nach Hause gehen. Diese Fürsorge für die Hilfsbedürftigen war in Pier Giorgio schon von frühauf bemerkbar. Im Kindergarten saß er sich instinktiv mit diejenigen an den Esstisch, die alleine saßen, unbeliebt oder krank waren. Wenn er zuhause alleine mit der Putzfrau war und ein Bettler an der Tür klopfte, gab er ihm sofort seine eigenen Schuhe und Socken. Im Alter von 17 trat er dann der Vincent de Paul Konferenz bei. Für den Rest seines kurzen Lebens kümmerte er sich um die Armen, die Kranken, die Obdachlosen, die Waisen und die Soldaten, die vom Ersten Weltkrieg nach Hause kamen. Er sah in diesen Hilfsbedürftigen niemand anderen als Christus: “Um die Kranken, die Armen und die Unglücklichen herum sehe ich ein besonderes Licht, ein Licht, das wir nicht haben.” Nachts traf man ihn, nachdem er sich geistlich von der eucharistischen Anbetung genährt hatte, in den Armenvierteln Turins an. Seine Familie wusste davon nichts.

Student und Aktivist

1918 begann er an der Universität Turin ein Studium des Bergbauingenieurwesens und wurde politisch aktiv. Das Studium, so schwer es ihm oftmals fiel, und seine politischen Interessen hingen eng zusammen. Er wollte in den Bergminen den Arbeitern Christus näherzubringen und ihre Arbeitsverhältnisse verbessern. Und so sah er das auch politisch: Den Armen musste geholfen werden und das in einer christlichen Form. Das bedeutete ebenso, den Ideologien seiner Zeit zu widersprechen. In Protesten kam er immer wieder Faschisten und Kommunisten in die Quere. Er folgte stattdessen der neuen politischen Idee der Christdemokratie und sagte so ganz klar: Freiheit, ein ausgeprägter Sozialsinn und Katholizismus passen auch politisch zusammen.

Pier Giorgio in Berlin und der Kampf gegen den Faschismus

Sein Vater wurde als italienischer Botschafter nach Deutschland gesandt und die Familie zog mit ihm nach Berlin. Pier Giorgio liebte Deutschland und Österreich. Einen Sommer lang verbrachte er mehrere Wochen mit der Rahner-Familie, dabei lernte er den drei Jahre jüngeren Karl kennen.

Für Pier Giorgio war Glaube nie Pflichtgefühl, nie etwas, das einengt. Er war der höchste Weg zur Freiheit, zur Chance, das Leben voll auszuschöpfen. Deshalb war er auch in Berlin nachts in den Armenvierteln unterwegs, dieses Mal mit Pfarrer Carl Sonnenschein. Dabei dachte Pier Giorgio intensiv über eine Zukunft als Priester nach. Schließlich entschied er sich dagegen, weil er dachte, Jesus als Laie besser dienen zu können. Trotz alledem suchte er einen stärkeren Bund mit der Kirche und beschloss, ein Dominikaner-Laie zu werden.

In Deutschland lebte die Familie nur für kurze Zeit. Als Mussolini an die Macht kam, wurde sein Vater abberufen. Dass Vater und Sohn rigoros gegen den Faschismus kämpften, brachte Probleme für die Familie mit sich; Morddrohungen und Einbrüche in das Familienhaus in Pollone folgten. Für Pier Giorgio war dies jedoch kein Grund, einzuknicken. Weiterhin war er politisch aktiv, half den Armen und fand in der Eucharistie und im Gebet Unterstützung.

Auch allgemein realisierte er immer, dass das Leben nicht einfach ist und viele Herausforderungen auf ihn zukommen sollten. Besonders in jenen schweren Momenten könnte man sich dann aber mit Jesus am Kreuz verbinden. Als ein Salesianer ihm beispielsweise des Öfteren persönliche Schwierigkeiten anvertraute, erwiderte Pier Giorgio: “Pater, was ist mit dem Herrn, der den Himmel für die Erde verlassen hat?”

Spielerisch in die Höhen

In jedem sozialen Ereignis sah Pier Giorgio eine Gelegenheit, den Menschen Gott näherzubringen. Gerne spielte er Billard mit seinen Mitstudenten. Mit Wetteinsätzen wie: „Wenn ich gewinne, gehst du mit mir in den Gottesdienst!“, brachte er spielerisch die Menschen zurück in die Kirche.

Wohl keine Aktivität begeisterte ihn so sehr wie das Bergsteigen. In den Alpen entfloh er dem Alltag. Hier konnte er auftanken vom Stress des Studiums und Gott auf eine ganz andere Weise näher kommen. Dabei ging Pier Giorgio regelmäßig Risiken ein, denn er kletterte weit hinauf. Ein paar Wochen vor seinem eigenen Tod verunglückte einer seiner Kletterkollegen in einer Lawine. Pier Giorgio nahm den tragischen Vorfall nicht zum Anlass, um mit dem Klettern aufzuhören, sondern er bereitete sich besser auf die Touren vor. “So lautet die Moral", kommentierte Pier Giorgio: “Wenn man in die Berge geht, sollte man zuerst sein Gewissen klären, denn man weiß nie, ob man zurückkehren wird. Aber trotzdem habe ich keine Angst und im Gegenteil, ich möchte die Berge mehr denn je erklimmen, um die kühnsten Gipfel zu erobern und diese reine Freude zu spüren, die man nur in den Bergen erleben kann.”

Auch dort sah er eine Chance, Menschen zum Glauben zu bewegen. So brachte er regelmäßig Freunde mit auf die Bergtouren. Bei einem Lagerfeuer könnte man über den Sinn des Lebens diskutieren. Die Truppe an Freunden, die in die Berge ging, nannte Frassati Tipi Loschi, oder auf Deutsch: „Die Zwielichtigen“. Zu sehr ernst nehmen, das war für Pier Giorgio klar, sollte man sich nie. Das offizielle Ziel dieser Halunken war jedenfalls, “Gott mit vollkommener Heiterkeit zu dienen” und so war es keine Überraschung, dass Pier Giorgio in der Tipi Loschi eine Untergruppe, die “Terror-Abteilung”, gründete, die mit Scherzen andere - und sich selbst - auf den Arm nahm. In den Bergen sang man dann lautstark fröhliche Lieder und Pier Giorgio war natürlich am Lautesten, wie er es auch immer in der Kirche tat. Die anderen, sowohl in der Kirche als auch auf den Bergen, meinten zu ihm: “Frassati, Du bist ein furchtbarer Sänger!” Pier Giorgio erwiderte: “Geduld: Das Wichtige ist, dass man singt.”

Der frühe Tod

Dann war plötzlich alles vorbei - zumindest in dieser Welt. Pier Giorgio hatte sich bei der Arbeit mit den Armen an der Kinderlähmung angesteckt. Seine Großmutter lag zur selben Zeit im Sterben. Ihr Enkel wollte, dass alle ärztliche Hilfe an sie ging, und sagte niemanden etwas über seine eigenen Qualen. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide, die Schmerzen und Todesqualen waren unaussprechlich. Doch noch immer sorgte er sich um andere: Seine letzte Notiz erreichte einen Freund mit der Bitte, Medizin zu einem kranken Bedürftigen zu bringen. Pier Giorgio Frassati starb am 4. Juli 1925. Er war 24 Jahre alt. Tausende Menschen kamen zu seiner Beerdigung, zum Erstaunen seiner Eltern, die keine Ahnung gehabt hatten, wie Pier Giorgio seine Nächte in Nächstenliebe verbracht hatte.

Auf dem Weg zur Heiligkeit?

Schnell verbreitete sich Pier Giorgios Lebensgeschichte auch über Turin hinaus. 1989 besuchte der heilige Papst Johannes Paul II., der über ihn schon als Student in Polen gelesen hatte, das Familiengrab in Pollone und sprach ihn 1990 selig. Wie er 1989 sagte: “Ich wollte diesem jungen Mann, der Christus mit solch bemerkenswerter Effektivität in unserem Jahrhundert Zeugnis geben konnte, die Ehre erweisen. Auch ich fühlte in meiner Jugend den positiven Einfluss von ihm und als Student war ich beeindruckt von der Radikalität seines christlichen Zeugnisses.” Bei der Seligsprechung 1990 nannte er dann Pier Giorgio den “Mann der acht Seligpreisungen”, da er in Frassatis Leben die Lehren der Bergpredigt auf besondere Weise artikuliert fand. Pier Giorgio wurde seither ein immer beliebterer Patron besonders für die katholische Jugend sowie gläubige Laien im Allgemeinen, die ihren Weg in der modernen Welt suchen.

Ein Leben der Anbetung

Kein Lebensmotto würde Pier Giorgio besser beschreiben als zwei Wörter, die er auf einem Foto von einer Bergtour hinterlassen hat: Verso l’Alto, „in die Höhen“ oder „gen Himmel“. Nach oben ging es für Frassati immer, gerade das war aber sein Ziel: das Leben als eine Wanderung, eine Herausforderung zu nehmen, jeden Tag den Glauben auszuleben. Und so wie er am Gipfelkreuz immer wieder verblüfft war von der Schönheit der Schöpfung Gottes, so wollte er auch auf der Bergtour Richtung Heiligkeit eines Tages vor Gott stehen. Sein ganzes Leben war dabei Anbetung Gottes. Pier Giorgo verbrachte seine Zeit in den Bergen, vor dem Allerheiligsten Sakrament und in den Armenvierteln. Es war Anbetung Christi in der Natur, in der Eucharistie und in den Armen. Sein kurzes Leben in dieser Welt ist ein Beispiel, dass Glaube uns mehr Freiheit geben kann, als die „Freiheit“ der Welt, weil wir mit Gott sind. Der Glaube ist das größte Abenteuer im Leben.

Wollen wir also unser Leben vergeuden? Oder wollen wir „in die Höhen“ klettern? Diese Frage stellt Pier Giorgio uns.